
Zahlen werden rot, Hoffnung bleibt grün
Mit den Geschäftszahlen zum vergangenen Jahr bilanziert die Mainzer BioNTech SE die Transformation zu einer forschenden Arzneimittelfirma. Obwohl die COVID-19-Impfstoffe weiterhin mehrere Milliarden Umsatzerlöse erbringen, gleichen diese die noch höheren Aufwendungen für Forschung und Entwicklung und für den hohen Personalbestand nicht mehr aus. BioNTech schreibt damit deutlich rote Zahlen und hofft, dass die klinische Entwicklung der Krebswirkstoffe wie geplant baldmöglichst zu Zulassungen und damit neuen Einnahmen führen. Eine Umstrukturierung an den Standorten Marburg und Idar-Oberstein soll in den nächsten drei Jahren zwar zu einem Personalabbau führen, der jedoch an anderen Standorten im Saldo nahezu ausgeglichen werden soll.
Die gute Nachricht zuerst: BioNTech hat noch immer sehr viel Geld auf der hohen Kante und konnte die starke Finanzposition mit 17,4 Mrd. Euro zum Ende 2024 in liquiden Mitteln, Zahlungsmitteläquivalenten und Wertpapieranlagen aufrechterhalten (Vorjahr 2023: 17,7 Mrd. Euro; 2022: 13,9 Mrd. Euro). Die weiterhin führende Position auf dem COVID-19-Impfstoffmarkt mit einem Marktanteil von über 50% in Kernmärkten und Umsatzerlösen von über 2,7 Mrd. Euro verschafft dem Mainzer Unternehmen die Basis, um die Ausgaben in Forschung und Innovation noch weiter zu steigern. Das kommt an der kurzfristiger denkenden Börse nicht so gut an und der Aktienkurs bröckelt.
Dabei hält sich BioNTech mit den (durchaus hohen) Forschung- und Entwicklungskosten von 2,2 Mrd. Euro an die eigenen Vorhersagen, bleibt sogar leicht darunter. Auch bei den Ausgaben für Vertriebs- und allgemeine Verwaltungskosten sowie den Investitionsausgaben für den operativen Geschäftsbetrieb bleibt das Unternehmen jeweils am unteren Ende des Vorhersagekorridors. Doch bei einem Jahresumsatz von 2,8 Mrd. Euro (Vorjahr: 3,8 Mrd. Euro) stellt sich damit ein Nettoverlust von 0,7 Mrd. Euro ein, eine deutlich rote Wegmarke, die im Vorjahr mit einem Plus von 0,9 Mrd. Euro noch grün gefärbt war. Für Aktionäre ist das dann ein Verlust je Aktie von 2,77 Euro statt einem Gewinn je Aktie von 3,83 Euro.
Der hohe Finanzmittelbestand, der Kostenkurs entlang der eigenen Vorhersage und auch die Bekanntgabe vom Umbau der Personalstruktur an mehreren Standorten sorgt derzeit noch nicht für eine weitere Seitwärtsbewegung der Papiere, sondern für einen Abschwung. Vermutlich, weil die Zukunftshoffnung auf die neuen Krebsmedikamente doch noch etwas auf sich warten lassen dürfte.
Starke Onkologie-Pipeline
Aktuell hat BioNTech 20 aktive Phase II- und Phase III-Studien in der Pipeline mit strategischem Fokus auf zwei tumorübergreifenden (Pan-Tumor-)Programmen: mRNA-Krebsimmuntherapien und Immunmodulator-Kandidat BNT327 (siehe auch |transkript 1-2025, Übersicht zur Krebspipeline im gesamten DACH-Raum). Dazu werden zahlreiche Daten-Updates in den Jahren 2025 und 2026 erwartet, die den klinischen Nachweis für diese Pipelinestrategie liefern sollen. Darauf freut sich auch Ugur Sahin, CEO und Mitgründer: „2025 wird ein Jahr mit zahlreichen wichtigen Daten-Updates aus unseren klinischen Fokus-Programmen. Wir glauben, dass diese Kandidaten, vorbehaltlich ihrer erfolgreichen Entwicklung und Zulassung, ein disruptives Potential haben und den aktuellen Behandlungsstandard verbessern können.“ Bei all dem soll die Künstliche Intelligenz massiv mithelfen, die richtigen Wirkstoffe zu entwickeln aber dann auch die richtige therapeutische Behandlung für einen Patienten auszuwählen.
Die therapeutische Strategie des Unternehmen fußt dabei auf mehreren Säulen, die für eine Patientenversorgung auch eine Kombination der Behandlungsmöglichkeiten vorsehen und damit einen gut gefüllten Werkzeugkasten darstellen sollen: mit den mRNA-Krebsimmuntherapie-Kandidaten sollen frühe Krebsstadien behandelt werden (“adjuvant”, das heißt nach operativer Entfernung des Tumors), wenn die Anzahl der Krebszellen noch gering ist und Resistenzmechanismen von Tumoren noch nicht vollständig etabliert sind. Im Frühstadium wird heute in der Regel die operative Entfernung des Tumors, Strahlentherapie und Chemotherapie angewandt. Viele Patienten erscheinen nach diesen Eingriffen in der Bildgebung oft tumorfrei, doch kleinste verbliebene Mengen von Krebszellen können mit der Zeit wachsen und Metastasen bilden. Wenn der Krebs auf diese Weise wieder auftritt, haben Patienten oft eine sehr schlechte Prognose, da diese neuen Krebszellen Resistenzen gegen die bisherige angewandte Behandlung in sich tragen. Die mRNA soll über die Immuntherapie das Immunsystem dazu anregen, Krebszellen anhand von Proteinen auf ihrer Oberfläche zu erkennen und so besser angreifen zu können und die Einnistung und spätere Metastasierung zu unterdrücken.
Weitere Behandlungskombinationen ergeben sich mit dem Immunmodulator-Kandidat BNT327, der für spätere/fortgeschrittene Krankheitsstadien entwickelt wird, wenn bereits größere Tumormassen oder Metastasen vorhanden sind, der Krebs schnell voranschreitet und Immunresistenz-Mechanismen des Tumors etabliert sind. Den bispezifischen Antikörper hat BioNTech vom ehemaligen Partner Biotheus übernommen, den die Mainzer kürzlich im zweiten Schritt insgesamt gekauft haben. Der Antikörper zählt zu den PD(L)-1-Checkpoint-Inhibitoren und hat als zweites Erkennungsantigen VGEF, um die Krebszelle von der Nährstoffversorgung abzukoppeln.
Umstrukturierungen
Während BioNTech den Ausbau von Personal in bestimmten Bereichen betont, insbesondere um Zulassungsstudien in einer Reihe von Krebsarten zu unterstützen sowie die Herstellung und Vermarktung vorzubereiten und dabei den Aufbau von 800 bis etwa 1.200 FTE-Stellen plant, wird gleichzeitig ein Abbau von 950 bis etwa 1.350 FTE-Stellen bis Ende 2027 durch Anpassung bestimmter Herstellungskapazitäten an die Nachfrage beziehungsweise Unternehmensstrategie sowie die Konsolidierung und Anpassung von administrativen Funktionen und präklinischer Forschung (in Europa und Nordamerika) bekanntgegeben.
Die Standorte Marburg, Idar-Oberstein, Gaithersburg (USA) sollen gezielt zu sogenannten Exzellenz-Zentren für bestimmte Herstellungsbereiche weiterentwickelt werden und sich nur auf einen speziellen Bereich fokussieren, um die Umsetzung der Strategie zu unterstützen, dabei werden dort einige Hundert Stellen abgebaut. In Idar-Oberstein sollen aber auch rund 20 Mio. Euro in eine Renovierung des Standortes fließen. Die Unternehmensführung von BioNTech bemüht sich sehr deutlich zu machen, dass der Standort Deutschland und auch der Hauptsitz in Mainz weiterhin das Hauptstandbein bleiben werden.